OpusBach

Seit der bahnbrechenden ersten deutschen Gesamteinspielung durch Helmut Walcha, beginnend 1947, hat sich nicht nur das Bach-Bild stark verändert, sondern auch das Bewusstsein für das „richtige“ Instrumentarium und die stilistisch angemessene Interpretation. Denn in Sachen Authentizität ist die Orgel zweifellos gegenüber allen anderen Instrumenten privilegiert, weil sie nicht nur – wie es einst in einem Werbe-Slogan hieß – „Jahrhunderte überdauert“, sondern in aller Regel den historisch-authentischen Raum gleich mitliefert: das akustische Ambiente des sogenannten „Originalklangs“. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass spätere Gesamteinspielungen gezielt jene historischen Orte wie Naumburg, Freiberg, Grauhof oder Störmthal aufsuchten, um die größtmögliche klangliche Authentizität zu gewährleisten. Ob Trost-, Silbermann-, Trautmann- oder Hildebrandt-Orgel: allein das Faszinosum, Bachs Orgelwerke auf den Instrumenten erklingen zu hören, die der Komponist teils selbst gespielt oder als Orgelsachverständiger persönlich begutachtet hat, wirkt verlockend und fügt sich perfekt in unser Zeitalter allseits angestrebter „Correctness“.

Das vorliegende Projekt OpusBach indes geht bewusst einen anderen Weg. Denn so inspirierend es auch sein mag, Bachs Musik unter quasi historischen Bedingungen zu interpretieren: ein solcher Ansatz vernachlässigt ein Stückweit den Erneuerer und an jeglicher Art von Fortschritt interessierten Genius, der Bach zweifellos auch war. Ein Musiker, der stets teilhatte an den neuesten Entwicklungen, insbesondere auf dem Sektor des Instrumentenbaus. Man denke nur an das „Wohltemperirte Clavier“, mit dem Bach als Erster überhaupt der neu eingeführten gleichschwebenden Stimmung kompositorisch Tribut zollt. Ebenso, wie er regen Anteil nahm etwa an der Entwicklung des Hammerklaviers und auch moderne Spieltechniken wie den Daumenuntersatz oder den virtuosen Gebrauch des Orgelpedals maßgeblich mit vorantrieb. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verwendung einer modernen Orgel absolut legitim; eines Instruments, das im besten Sinne das Prädikat „Universal-Orgel“ verdient, da es sich – anders eben, als die erwähnten historischen Instrumente – für die Interpretation vieler Stilepochen eignet, vom Barock über die deutsche Romantik und französische Orgelsinfonik bis in die musikalische Jetztzeit. 2011 wurde die Vorgängerorgel der Münchner Michaelskirche aufwändig durch die Firma Rieger-Orgelbau GmbH reorganisiert und um ein „deutsches Schwellwerk“ erweitert. Die heutige Rieger-Orgel ist mit ihren 75 Registern, verteilt auf 4 Manuale und Pedal, ein faszinierendes Instrument auch für die Bach-Interpretation. Verfügt sie doch, neben klar zeichnenden Prinzipal-Registern, Aliquot-Mischungen und charakteristischen Zungenstimmen auch über jene „milden“ und empfindsamen Klangfarben, die Bach nachweislich ebenfalls am Herzen lagen für die Darstellung seiner Musik.


Matthias Keller